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Thomas Demand in der Neuen Nationalgalerie

Besucher vor Neuer Nationalgalerie

Nur ein Disney-Land kollektiver Bilderinnerung?
Ausstellung Nationalgalerie von Thomas Demand in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

  1. September 2009 bis 17. Januar 2010

Ein Erinnerungssbericht
Ich verbringe einen diesigen Oktobertag in Berlin-Mitte, schlage Gratis-Berliner-Kartoffelsuppe aus und schwänze eine Konferenz. Mein Ausgangspunkt ist das Rote Rathaus, ich bin zu Fuß, habe den ganzen Tag Zeit und mache ich mich auf den Weg zur Neuen Nationalgalerie an der Potsdamer Straße.

Ein wenig gespannt bin ich wegen des Titels der Ausstellung „Nationalgalerie“ schon: Denn ich bin nicht nur im gleichen Land (Westdeutschland) sondern auch im gleichen Jahr geboren wie Thomas Demand. Wenn es also eine medial induzierte, kollektive (und wie der Titel insinuiert nationale) Sammlung erinnerter Bilder gibt, die sich aus Bildern speist, die aus der Bilderflut und der Zeit herausragen wie Treibgut aus strömendem Wasser, so könnte bei mir die Schnittmenge der Gemeinsamkeit mit Demand recht groß sein.

Einmal angekommen wird die Einstimmung auf deutsche Erinnerungswelten zunächst durch die am Einlass und in der Ausstellung mit strengem Ernst und wenig Wohlwollen über die Sicherheit wachenden Museumswärter bekräftigt, die mir, ebenso wie die labyrinthisch anmutenden, durch dunkelgraue Vorhänge abgehängten Kabinette, spontan Erinnerungen an meinen letzten deutsch-deutschen Grenzübertritt am Bahnhof Friedrichstraße wachrufen.

Im grauen Vorhanglabyrinth sind um die 40 überwiegend großormatig präsentierte Fotografien von Thomas Demand zu sehen. Sie zeigen papierne Nachbildungen realer Orte, die Schauplatz medial beachteter Ereignisse waren. Es ist eine Nachbildung anhand medialer Bilder: Was entsteht ist das Abbild eines Modells, ein Abbild nachgebauter mittelbarer Erinnerung. Das ist verwirrend und erhellend zugleich. Bin ich mir des Konstrukts einmal gewahr geworden, sehe ich auch die Reduktion, bemerke die fehlenden Details. Doch anders als bei Bildern der Erinnerung, in denen manche Details verblassen, andere aber umso lebhafter hervortreten, ist die Tilgung hier systematisch – es ist eine Inszenierung.

Nicht alle Bilder kann ich Ereignissen zuordnen. Bei den anderen verspüre ich nur den ungefähren Anflug eines Déjá-vus, der sich mit dem Eindruck nahezu perfekter Referenzlosigkeit mischt. Und alles, was ich darin erinnernd zu erkennen glaube, ist eine Projektion. War nicht das Bild, an das ich mich erinnere und das Herrn Barschel tot in der Badewanne zeigte, eine Schwarzweiß-Fotografie und das mir so authentisch erscheinende Kachelblau nebst Wannenvorleger entstammt einer Erinnerung an Tante Hildegards Badezimmer, – also einer Erinnerung an mein tatsächlich gelebtes Leben? Kann meine Erinnerung das eine vom anderen sicher unterscheiden? Sie kann es nicht. Außerdem verändert sie sich und ist manipulierbar.

Vermutlich ist das in gleichem oder in noch viel stärkerem Maße so, wenn es um das geht, was hier als kollektives Bildgedächtnis gelten soll. Denn, dass es sich bei den gezeigten Bildern tatsächlich um die Bilder handelt, denen im kollektiven Erinnern eine Schlüsselstellung zukäme ist zunächst einmal vor allem eines: eine Behauptung. Die Tatsache der idiosynkratischen Auswahl, der Inszenierung der Modelle und Fotografien, die uns Selektivität und Winkel unseres Blicks diktiert, ist im Zusammenspiel mit dem baulichen Rahmen und dem Titel der Ausstellung von geradezu atemberaubender Anmaßung.

Die Bilder werden ergänzt durch in Vitrinen präsentierte Texte von Botho Strauß, die laut Ausstellungsprospekt als Bildlegenden zu verstehen sind. Meine Rezeption der Texte bleibt aber bruchstückhaft, denn die Wärter umkreisen die Besucher, sobald sie sich den Vitrinen nähern, sofort misstrauisch und argusäugig, als befänden sich darin anstatt zeitgenössischer Druckerzeugnisse Reliquien der Grablegung Christi. Eigentlich ist mir somit schon an der ersten Station die Lust am Lesen vergangen. Aber so ganz möchte ich mich von den Umständen der Inszenierung nicht abhalten lassen, so dass ich wenigstens einige der Texte lese.

Von denen wiederum kann ich einige Passagen (auch mit größtem Wohlwollen) nach meinem politischen Koordinatensystem nur so weit rechts einordnen, dass es mit dem Begriff „nationalkonservativ“ nicht hinreichend treffend beschrieben wäre. Aus anderen tropft zäh als Quintessenz, den von den unschönen Details der Wirklichkeit gereinigten Modellen wohne mehr Wahrhaftigkeit inne, als der Realität. Jemand möge doch bitte die Leichen aus den Badewannen unseres kollektiven Bildgedächtnisses radieren.

Hier mag ich nicht mehr folgen. Barschel bleibt in der Wanne – basta.

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