Am 11. April 1957 fand im Düsseldorfer Atelier von Heinz Mack und Otto Piene die erste der sogenannten Abendausstellungen statt. Die Ausstellungsreihe bestand aus „Vernissagen ohne anschließende Ausstellungsdauer“ und mündete zirka ein Jahr später in die Gründung der Gruppe ZERO. Die Mitglieder Otto Piene, Heinz Mack und etwas später Günter Uecker riefen auf der Suche nach einem von der Vergangenheit unbelasteten Neuanfang in der Kunst mit ihrer Gruppe ZERO eine Stunde Null aus. Dennoch gibt es unverkennbar Vorbilder, Parallelen und Anleihen.
So findet sich eine ähnliche idealisierende Verschränkung von Ethik und Ästhetik bei der niederländischen Gruppe De Stijl um Piet Mondrian. Das Manifest dieser Gruppe erschien schon 1918. Der Ungar Lázló Moholy-Nagy wiederum hatte nicht nur bereits 1922 mit Dynamisch-konstruktives Kraftsystem (1) und 1923 mit Light – A Medium of Plastic Expression (2) grundlegende Überlegungen zu Kinetik und Licht in der plastischen Kunst angestellt, sondern mit dem Licht-Raum-Modulator auch ein in diesem Sinne prominentes Werk geschaffen. Nach dem Tod des mittlerweile in Chicago lebenden Moholy-Nagy erschien im Jahr 1947 sein letztes Buch Vision in Motion (deutscher Titel: Sehen in Bewegung. Fast zeitgleich unterzeichneten die Schüler Lucio Fontanas Bernardo Arias, Horacio Cazeneuve, Marcos Fridman, Pablo Arias, Rodolfo Burgos, Enrique Benito, César Bernal, Luis Coll, Alfredo Hansen und Jorge Rocamonte das sogenannte Weiße Manifest, in dem eben dieses Begriffspaar auftaucht: „Der Futurismus nimmt die Bewegung als einziges Prinzip und einziges Ziel an. Die Kubisten leugneten, dass ihre Malerei dynamisch war; das Wesentliche des Kubismus ist jedoch die Sicht auf die Natur in Bewegung. “ (…) “ Wir nehmen diese Synthese als Summe physikalischer Elemente wahr: Farbe, Klang, Bewegung, Zeit, Raum, die so eine physisch-psychische Einheit bilden. Farbe als Element des Raumes, Klang als Element der Zeit und die Bewegung, die sich in Raum und Zeit entfaltet – das sind die grundlegenden Formen der neuen Kunst, die die vier Dimensionen der Existenz umfassen. Zeit und Raum“ (3)
„Vision in Motion“ sollte 1959 dann als Titel einer eigentlich titellosen Ausstellung im Antwerpener Hessenhuis werden, an der die Gruppe ZERO teilnahm.
Vor diesem Hintergrund scheint es, dass die Anfänge der Gruppe ZERO trotz der Zäsur, die die Zeit des zweiten Weltkriegs und der Nazi-Zeit bedeutet hat, vielmehr als Fortführung einer seit mehreren Jahrzehnten andauernden Enwicklung diverser -Ismen des 20. Jahrhunders zu sehen ist, denn als radikaler Neubeginn. Der erscheint in der Nachschau eher als effektvolle Inszenierung.
(1) Moholy-Nagy/Kemény, Dynamisch-konstruktives Kraftsystem, in: Der Sturm, Jahrgang 13, Heft 12, S. 186
(2) Moholy-Nagy, Light – A Medium of Plastic Expression, in: Broom, März 1923, S. 283 f.
(3) Manifiesto Blanco, Buenos Aires, 1946, Zitate in eigener Übersetzung
Vor 150 Jahren, im Januar 1867, verstarb mit dem Maler Jean-Auguste-Dominique Ingres einer der prominentesten Vertreter des Klassizismus in Frankreich. Die Lebenszeit des am 19. August 1780 im südfranzösischen Montauban geborenen Ingres war von zahlreichen politischen Umbrüchen geprägt und umspannte Ancien régime, die Revolutions- und Kaiserzeit sowie Restauration, die Julimonarchie des Bürgerkönigs Louis-Philippe, die zweite Republik und das zweite Kaiserreich.
Der junge Ingres zeigt früh seine Neigung zur Malerei. Der Vater,
ebenfalls Maler, unterstützt ihn darin und beginnt früh damit, seinen
ältesten Sohn selbst auszubilden. Bereits nach kurzer Zeit nimmt
Jean-Auguste Dominique Ingres dann ein Kunststudium in Toulouse auf und
verzeichnet erste Erfolge.
École des Beaux-Arts in Paris
Immer noch blutjung, die ersten Ehrungen in der Tasche, zieht es den
17jährigen 1797 nach Paris, um dort seine Ausbildung fortzusetzen. Er
wird als Schüler in das Atelier von Jacques-Louis David und zwei Jahre
später in die École des Beaux-Arts aufgenommen. David hat beim Kult des
höchsten Wesens die Feder geführt, verfügt auch nach dem Sturz
Robespierres noch über beste Beziehungen im Kulturbetrieb der
französischen Hauptstadt und hat zu diesem Zeitpunkt mit Ballhausschwur und Tod des Marat wichtige Ereignisse der französischen Revolution im Bild festgehalten.
Sein Schüler Ingres bleibt erfolgreich und gewinnt 1801 den Prix de
Rôme, mit dem ein Stipendienaufenthalt in Rom verbunden ist. Wegen
fehlender finanzieller Mittel kann der junge Ingres die Reise jedoch
zunächst nicht antreten. Bis zu seiner Abreise nach Rom im September
1806 arbeitet Ingres zunächst mit mehreren anderen David-Schülern in
einem Atelier. In diese Zeit fallen Portraits der Familie Rivière, das
Porträt Napoleons als Konsul und das Porträt Napoleons im Hermelinmantel
auf dem kaiserlichen Thron – ausgestellt beim Salon de Paris 1806, der
kurz nach seiner Abreise nach Rom stattfand. Ingres hatte an dem
Portrait ohne Auftrag gearbeitet.
Villa Medici in Rom
Kaum in Rom angekommen erfährt der Stipendiat von der kontroversen
Aufnahme seines im Rahmen des Salons gezeigten Bildes durch Kritik und
Kollegen. Man wirft ihm Exaltiertheit, Regression um vier Jahrhunderte
in die Kindheit der Malerei und einen gotischen Stil vor. Der Kopf sei
überdimensioniert, schlecht getroffen, die Farben falsch und zu blass.
Trotz der feinen Pinselführung bleibe das Bild ohne Wirkung –
insbesondere ohne Tiefenwirkung. Auch die verwendete Ikonografie, die
unter anderem Bezug auf Karl den Großen nimmt, stößt auf Kritik und
findet im nachrevolutionären Frankreich kaum positive Resonanz.
In Rom entdeckt der junge Maler Raffael und die Maler der
Hochrenaissance, die seinen Stil stark beeinflussen. Aus der frühen Zeit
seines Italienaufenthalts stammt mit La grande baigneuse (1808) eines seiner schönsten Aktbilder. Diese Badende aus seiner römischen Zeit wird er später in sein Tondo Das türkische Bad
(1863) übernehmen. Doch zunächst findet auch was er als Stipendiat an
die Académie sendet dort kaum Anklang. Die große Badende und der Entwurf
zu Ödipus und die Sphinx, mit denen Ingres sein Können bei der
Darstellung des nackten weiblichen und männlichen Körpers unter Beweis
stellen will, werden wegen Lichtführung und der angeblich mangelnden
Idealisierung der Figuren kritisiert.
Ingres bleibt in Italien
Ingres entscheidet auch nach Auslaufen seines Stipendiums in Italien
zu bleiben, wo er 1813 heiratet. Während der gesamten Zeit in Italien
erhält Ingres zahlreiche Aufträge für Porträts. In vielen davon zeigt
sich einerseits Ingres Neigung, anatomische Gegebenheiten der
Bildkomposition unterzuordnen. So bildet im Porträt der Madame Senonnes
zum Beispiel ein aus anatomischer Sicht zu langer und zu gerundeter
rechter Arm kompositorisch einen harmonischen Bogen. Andererseits zeigt
der Spiegel im Hintergrund den Hinterkopf der Dame und bindet den
eigentlich vor der Bildebene liegenden Raum geschickt ins Bild mit ein.
Auch die Große Odaliske –wohl eines der allerbekanntesten Bilder
Ingres– zeigt eine harmonische aber recht unanatomische Stellung der
Gliedmaße. Und eine opulente Ausführung der drapierten Stoffe (ähnlich
wie beim Empereur auf dem Thron und der Großen Badenden). Ingres macht
noch einige Versuche, beim Salon zu punkten, ohne jedoch das gewünschte
Echo zu finden.
Der Erfolg in Frankreich stellt sich ein
Ein Erfolg beim Salon lässt auf sich warten: 1924 aber wird Ingres Bild Das Gelübde Ludwigs XIII
beim Salon sehr positiv aufgenommen, so dass er sich zur Rückkehr nach
Frankreich entschließt. Dort hat sich seit seinem Weggang vieles
verändert. Napoleon I hat abgedankt, Europa wurde 1815 beim Wiener
Kongress neu geordnet. Die Restauration ist in vollem Gange und Karl X
ist nach dem Tod Ludwigs XVIII im Begriff den Thron zu besteigen.
Ingres Bild ist ganz im Stile Raffaels gehalten und macht starke Anleihen bei dessen Sixtinischer Madonna. Auch im Salon vertreten ist der Maler Eugène Delacroix – und zwar mit dem Massaker von Chios
– einem Bild, das seine Hinwendung zur Romantik illustriert. Zwischen
den beiden Malern (bzw. deren Anhängern) entspinnt sich ein mit Inbrunst
geführter Disput zwischen dem Vertreter der Linie und der Zeichnung
(Ingres) und dem der Farbe (Delacroix). Nach dem Salon zeichnet der
König Ingres mit dem Kreuz der Ehrenlegion aus.
Nun kann sich Ingres endlich dem Teil seiner Arbeit widmen, den er
selbst für bedeutender hält. Ingres strebt nach höherem, nach dem reinen
Ideal, orientiert sich an Raffael und antiker Formenstrenge und wählt
seine Themen oft entsprechend: In der programmatisch wirkenden Apotheose Homers
sitzt selbiger spärlich bekleidet nur in eine weiße Toga gehüllt erhöht
vor einem griechischen Tempel mit der Inschrift Homer. Nike, die
Siegesgöttin, hält einen Lorbeerkranz über sein Haupt. Zu seinen Füßen
zwei buntgekleidete Frauen, die für Homers wichtigste Schriften stehen:
Ilias und Odyssee. Diese Kernszene umringen Künstler und Geistesgrößen
aus verschiedenen Epochen der europäischen Kultur. Pindar reicht dem
thronenden Homer eine Leier. Zu weiteren bewunderten (und meistenteils
im Profil dargestellten) Vorbildern der griechischen Antike wie
Aristoteles, Äsop und Aischylos oder Platon, Perikles und Sophokles
gesellen sich neben Dante auch Ingres italienische Helden der
Hochrenaissance Raffael und Michelangelo. Sie alle umringen den
göttergleichen Homer. Im Bild außerdem untergebracht hat der Maler,
Shakespeare, Camões, Mozart und Gluck. Am unteren Bildrand schaut
Molière den Betrachter an. Auffällig ist der aus dem Bild gerichtete
Blick der eigenen Landsleute: Molière, Fenelon, Corneille, Poussin (nur
Racine zeigt sich im Profil), die Ingres zeitlich näherstehen, und sich
außerdem am unteren Ende der Vergöttlichungspyramide drängeln.
Mit diesem Werk hat Ingres sein eigenes Bildungsideal unmissverständlich
ins Bild gesetzt und postuliert die zeitlose Gültigkeit einer antiken
Geisteshaltung.
Mit diesem Bild nimmt Ingres am Salon von 1827 teil.
Der ehemalige Schüler wird Lehrer
Inzwischen ist Ingres arriviert. 1829 wird er in die Académie
berufen, beginnt 1830 dort zu lehren und wird schon bald zum Direktor
des Instituts ernannt.
Im Salon von 1833 zeigte Ingres zwei Bilder: das bereits 1807 gemalte
Porträt von Madame Duvaucey und das in mehrerlei Hinsicht
bemerkenswerte Bildnis des Verlegers Louis-François Bertin, das den
bekannten und zu dieser Zeit einflussreichen Verleger zeigt. Auch in
diesem Porträt ordnet Ingres die anatomisch korrekte Darstellung der
Wirkung unter.
Die etwas zu großen Hände vermitteln Tatkraft, die Stellung der Hände
auf den Knien wirkt, als wäre der Porträtierte im Begriff sich zu
erheben. Insgesamt betont der Bildaufbau Bertins Masse und Gewicht.
Ingres beweist mit seinen Porträts sein eigentliches Talent, auch wenn
er selbst die Historienmalerei immer als wichtiger erachtet und der
Nachwelt sicher nicht als Porträtist in Erinnerung zu bleiben hofft.
Rückkehr nach Rom
Bereits im Jahr 1834 wartet beim Salon die nächste Enttäuschung auf
Ingres. 1924 hatte der derzeitige Innenminister Ingres den Auftrag
erteilt, für die Kathedrale von Autun ein monumentales Gemälde zu
erschaffen: Das Martyrium des heiligen Symphorian.
Das Bild stößt nun jedoch nicht auf durchgängig positive Resonanz. Diese
Tatsache ist für Ingres offenbar so verletzend, dass er verkündet, nie
mehr im Rahmen des Salon de Paris ausstellen zu wollen. Er bewirbt sich
erfolgreich als Direktor der Académie de France in Rom, so dass er noch
im selben Jahr nach Rom zurückkehrt und bis 1841 dort seine Tätigkeit
ausüben wird.
Höhere Weihen
Nach dem Erfolg von Antiochus und Stratonice, das Ferdinand
Philippe d’Orléans bereits 1834 bei Ingres in Auftrag gegeben hatte, das
dieser jedoch erst 1840 beendet, entschließt sich Ingres zur Rückkehr
nach Frankreich. Als Maler führt nun kein Weg mehr an ihm vorbei. Er
erhält Aufträge von der königlichen Familie, arbeitet an seinem
künstlerischen Vermächtnis Das goldene Zeitalter (Projekt das Ingres
nach der Revolution von 1848 und dem Tod seiner Frau aufgibt und das so
unvollendet bleiben wird) und nimmt weiter Aufträge für Porträts einiger
weniger, aber hochstehender Persönlichkeiten an.
In seinem Spätwerk greift er außerdem ein Thema aus seiner frühen
Zeit wieder auf: die Aktmalerei. Im Auftrag von Prinz Napoleon arbeitete
er an dem Bild Das türkische Bad, das in zwei Versionen vorliegt
(1859/1863). In diesem Bild treffen wir die große Badende von 1808
wieder, die nun ein Instrument spielt und von zahlreichen anderen
Nackten umgeben ist. Es ergibt sich jedoch keine wirkliche Szene,
sondern die Figuren bleiben eher zusammenhanglos im Bild gruppiert. Im
Jahr 1963 beruft Napoleon III Ingres in den Senat.
Das Werk Ingres ist vielschichtig und widersprüchlich. Er, der immer
als Historienmaler in Erinnerung bleiben wollte, war doch der „geborene
Porträtist“ (Hans Naef). Er stand für die Rückbesinnung auf die Antike
und galt als Traditionalist. Dennoch ist unverkennbar, dass sich in
seinen Werken zum Teil bereits Entwicklungen der moderenen Kunst
ankündigen, die spätere Künstler beeinflusst haben.
Jean-Auguste-Dominique Ingres verstarb am 14. Januar 1867 in Paris. Seine sterblichen Überreste wurden auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt.