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Das Schöne und das Biest

Skulpturen von Lutz Wiedemann

Zusammen mit dem Celler Norbert Diemert zeigt der niedersächsische Bildhauer und Objektkünstler Lutz Wiedemann bis Ende September in der Klosterkirche Wittenburg größtenteils ältere Arbeiten aus seinem bildnerischen und fotografischen Werk.

Betritt man den Westteil der Wittenburger Kirche, so zieht es den Blick unwillkürlich nach oben. Um den Blick „auf Augenhöhe“ zu halten – so der etwas rätselhafte Titel der Ausstellung – muss man sich zunächst einmal die Zeit nehmen, um anzukommen, bevor man den Blick konzentriert über die ausgestellten Arbeiten schweifen lassen kann.

Auffällig ist der farblich stark zurückgenommene Gesamteindruck der Ausstellung. Vor den abblätternden hellen Wänden des Innenraums gruppieren sich helle Skulpturen – an den Wänden Diemerts schwarz-weiße „Gesichtslandschaften“, die spontan die Assoziation an Menschen auf dem Totenbett aufkommen lassen. Nur durch die farbigen Natur-Fotografien Wiedemanns, die dazwischen gestreut sind, scheint naturhaft Buntes, Lebendiges von draußen in den Raum einzudringen oder mit Wiedemanns Holzskulpturen punktuell und zaghaft aus dem Boden zu wachsen. Überhaupt ist man zwischen all dem in Diemerts Arbeiten dominierenden Marmor und den sorgfältig geschliffenen, leblos wie erstarrt wirkenden Flächen und der stark ästhetisierenden Formensprache Diemerts fast erleichtert über die kleinen irritierenden Momente, die einige von Wiedemanns Skulpturen zu bieten haben: da ist das Fell, das einem seltsamen, fast nur aus einem Mund bestehenden Wesen aus seinen Ohrtrichtern wächst, oder ein ein wenig an die Bondage-Ästhetik der Fotografien von Nobuyoshi Araki erinnerndes Artefakt, das in fragiler Balance an einer dürren und profan wirkenden Stange befestigt über Kopfhöhe schwebt.

Ist es eventuell das unvermittelte Kontrastieren der Konzepte, auf das der Titel anspielt? Denn der offensichtliche Kontrast durchzieht konsequent die gesamte Ausstellung und lässt so den Verdacht aufkeimen, er könnte durchaus bewusst gewählt sein. Er findet sich bei den Skulpturen genauso, wie bei den Fotografien und konfrontiert die Adepten der einen wie der anderen Richtung unerbittlich mit den Standpunkten der jeweils anderen.

Am 22.05.2011 nun wurde diese eigenartige Ausstellung durch Improvisationen des Posaunisten Hans Wendt um eine weitere sinnliche Dimension erweitert: Mit der Posaune, die als Kircheninstrument auf eine lange Tradition verweisen kann, machte der Wunstorfer Jazzmusiker während seiner absolut hörenswerten Darbietung den Raum noch einmal auf ganz andere Weise erfahrbar. Denn wie vorher die Besucher die Blicke schweifen ließen, schickte er in unmittelbarer Reaktion auf Architektur und Kunstwerke Töne und Obertöne in den Raum, ließ sie zurückkehren, miteinander interagieren oder im Raum schweben. Zusammen mit den ausgestellten Arbeiten der bildenden Kunst bot sich ein eindrucksvolles synästhetisches Gesamterlebnis, das in dieser Intensität selten ist.

Die Ausstellung in der Wittenburger Kirche ist noch bis zum 1. Juli 2011 und danach vom 24. Juli bis einschließlich 1. Oktober jeweils sonntags von 14:00-17:00 Uhr zu besichtigen. Am 21. August wird der Musiker Peter Missler aus Celle mit Saxophon, Querflöte und Obertongesang zu Gast sein.

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