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Sich gegessene Fische vorstellen

Lutz Wiedemann in Neuenkirchen

Dominik Bednarek – Hanna Brandes – Kalin Lindena – Alex Müller

„…über den Nutz- und Ziergartenbau, über das Urnenfeld bei Brampton, das Anlegen künstlicher Hügel und Berge, die von den Propheten und heiligen Evangelisten erwähnten Pflanzen, die Insel Tinos, die altsächsische Sprache, die Antworten des delphischen Orakels, die von unserem Erlöser gegessenen Fische, die Gewohnheiten der Insekten, die Falknerei, einen Fall von Altersfreßsucht, die Erfindung der Zeit und das Zeitlose, über Clowns, Schiffsbauchlinien, die Interessen eines Hutmachers, das Verhalten von Stehaufmännchen, die Schönheit, Gesamtkunstwerke, Sachen tragen, siamesische Zwillinge, die Amore, Hände, die Knoten und noch manch anderes mehr…“

im Kunstverein Springhornhof, Neuenkirchen,
6. Juni – 15. August 2010

Zugegeben ein etwas sperriger Titel für eine Kunstausstellung. Allerdings hat sich der Ausflug nach Neuenkirchen für uns gelohnt. Der Springhornhof, leicht zu finden neben der Kirche gelegen, zeigt noch bis zum 15. August 2010 die o. g. Ausstellung der ehemaligen Kommilitonen der HfbK Braunschweig. Auf zwei Stockwerken erwartet den Besucher eine sehenswerte Ausstellung:

Erwartet man, eingestimmt durch den Titel, ausufernde Fülle und chaotisches Nebeneinander, so ist man bei Betreten des ersten Raumes zunächst überrascht von der Klarheit und Ordnung, mit der sich die Ausstellungsräume präsentieren. Jemand hat ordentlich Schiffsmodelle in ein Regal geräumt, davor, wie für eine Fotosession vorbereitet, ist ein wortbestickter Schirm mit Lampe halb in den Raum, halb auf die Wand gerichtet (Alex Müller, Die neuen OS für Martha). An den Wänden und auf Sockeln weitere Exponate… Mit der kindlichen Entdeckerfreude, zu der die Betrachtung der Schiffsmodelle Dominik Bednareks anregt, bewegt man sich weiter. Die Konzeption der Ausstellung schafft einen Raum, in dem man sich mit frei flottierender Aufmerksamkeit bewegen kann, mal angezogen, mal abgestoßen von dem, was es zu entdecken gibt: Die thematisch vermeintlich konventionell daherkommenden Hedda-Bilder von Alex Müller, die in und auf Samt oder Polsterbezugsstoff gekratzt und gemalt sind, bieten kurze, verstörende Momente fehlender Gewissheit, in denen ihre Festigkeit ganz verloren zu gehen scheint, als begönne die Welt zu zerfließen. Auch die Arbeiten von Hanna Brandes nutzen ein Spannungsfeld zwischen Vertrautem und Befremdlichen. Da findet sich eine Landschaft mit Mond, der sich bei näherer Betrachtung als Fuß(?)-Nagel enpuppt, oder Staubgespinnste an Schrankrückwänden verweisen auf bekannt-gewohnte Sujets der Malerei. Räumlich umspannt und gefasst wirkt die Ausstellung nochmals durch die Arbeiten von Bednarek, dessen Schiffsbauchformen an den Wänden in den Raum hineindrängen aber ihn gleichzeitig, wie auch die Interventionen von Kalin Lindena als Wahrnehmungsraum definieren.

Lutz Wiedemann in Neuenkirchen

Diese Ausstellung allein ist es wert, die Fahrt nach Neuenkirchen anzutreten. Wem nach dem Besuch dieser Ausstellung jedoch der Sinn nach mehr steht, der hat in Neuenkirchen und der näheren Umgebung noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, sich Kunst anzuschauen: in der „Kunst-Landschaft“ warten rund 38 Kunstobjekte, Skulpturen und Installationen auf Besucher. Ein Lageplan – unbedingt zu empfehlen – kann im Springhornhof für 3 € erworben werden. Seit 1967 wurden und werden regelmäßig Künstler beauftragt, landschaftsbezogene Werke beizusteuern. Darunter finden sich Arbeiten so namhafter Künstler wie: Christiane Möbus, Tony Cragg, Timm Ulrichs oder Rudolf Wachter, Valerij Bugrov, Christina Kubisch, Gary Rieveschl, Leo Kornbrust, Mic Enneper, Rolf Jörres, Peter Könitz & Karl Ciesluk, Jean Clareboudt, Nikolaus Gerhart, Silke Schatz, Volker Lang, Rolf Schneider, Jan Meyer-Rogge, Hawoli, Odious, Harald Finke, Carl Vetter, Horst Lerche, Horst Hellinger, Claus Bury …

Lutz Wiedemann: „Am eindruckvollsten war für mich an diesem Tag das Werk von Claus Bury Augenblick – original erstellt 1989, wurde es 2001 wieder aufgebaut. Mitten in einem Waldstück steht ein von vier Seiten begehbares architektonisches Objekt, mit sich gegenläufig trapezförmig verjüngenden und verbreiternden Flächen, oben geöffnet, großartig!“

Springhornhof
Tiefe Straße 4
29643 Neuenkirchen

Öffnungszeiten: Di – So 14 – 18 Uhr (Ausstellungen)

Die Außenobjekte sind jederzeit frei zugänglich.

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