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Ein langes Künstlerleben vom Ancien Régime bis zum zweiten Kaiserreich

Zum 150. Todestag von Jean-Auguste-Dominique Ingres

Vor 150 Jahren, im Januar 1867, verstarb mit dem Maler Jean-Auguste-Dominique Ingres einer der prominentesten Vertreter des Klassizismus in Frankreich. Die Lebenszeit des am 19. August 1780 im südfranzösischen Montauban geborenen Ingres war von zahlreichen politischen Umbrüchen geprägt und umspannte Ancien régime, die Revolutions- und Kaiserzeit sowie Restauration, die Julimonarchie des Bürgerkönigs Louis-Philippe, die zweite Republik und das zweite Kaiserreich.

Der junge Ingres zeigt früh seine Neigung zur Malerei. Der Vater, ebenfalls Maler, unterstützt ihn darin und beginnt früh damit, seinen ältesten Sohn selbst auszubilden. Bereits nach kurzer Zeit nimmt Jean-Auguste Dominique Ingres dann ein Kunststudium in Toulouse auf und verzeichnet erste Erfolge.

École des Beaux-Arts in Paris

Immer noch blutjung, die ersten Ehrungen in der Tasche, zieht es den 17jährigen 1797 nach Paris, um dort seine Ausbildung fortzusetzen. Er wird als Schüler in das Atelier von Jacques-Louis David und zwei Jahre später in die École des Beaux-Arts aufgenommen. David hat beim Kult des höchsten Wesens die Feder geführt, verfügt auch nach dem Sturz Robespierres noch über beste Beziehungen im Kulturbetrieb der französischen Hauptstadt und hat zu diesem Zeitpunkt mit Ballhausschwur und Tod des Marat wichtige Ereignisse der französischen Revolution im Bild festgehalten.
Sein Schüler Ingres bleibt erfolgreich und gewinnt 1801 den Prix de Rôme, mit dem ein Stipendienaufenthalt in Rom verbunden ist. Wegen fehlender finanzieller Mittel kann der junge Ingres die Reise jedoch zunächst nicht antreten. Bis zu seiner Abreise nach Rom im September 1806 arbeitet Ingres zunächst mit mehreren anderen David-Schülern in einem Atelier. In diese Zeit fallen Portraits der Familie Rivière, das Porträt Napoleons als Konsul und das Porträt Napoleons im Hermelinmantel auf dem kaiserlichen Thron – ausgestellt beim Salon de Paris 1806, der kurz nach seiner Abreise nach Rom stattfand. Ingres hatte an dem Portrait ohne Auftrag gearbeitet.

Villa Medici in Rom

Kaum in Rom angekommen erfährt der Stipendiat von der kontroversen Aufnahme seines im Rahmen des Salons gezeigten Bildes durch Kritik und Kollegen. Man wirft ihm Exaltiertheit, Regression um vier Jahrhunderte in die Kindheit der Malerei und einen gotischen Stil vor. Der Kopf sei überdimensioniert, schlecht getroffen, die Farben falsch und zu blass. Trotz der feinen Pinselführung bleibe das Bild ohne Wirkung – insbesondere ohne Tiefenwirkung. Auch die verwendete Ikonografie, die unter anderem Bezug auf Karl den Großen nimmt, stößt auf Kritik und findet im nachrevolutionären Frankreich kaum positive Resonanz.

In Rom entdeckt der junge Maler Raffael und die Maler der Hochrenaissance, die seinen Stil stark beeinflussen. Aus der frühen Zeit seines Italienaufenthalts stammt mit La grande baigneuse (1808) eines seiner schönsten Aktbilder. Diese Badende aus seiner römischen Zeit wird er später in sein Tondo Das türkische Bad (1863) übernehmen. Doch zunächst findet auch was er als Stipendiat an die Académie sendet dort kaum Anklang. Die große Badende und der Entwurf zu Ödipus und die Sphinx, mit denen Ingres sein Können bei der Darstellung des nackten weiblichen und männlichen Körpers unter Beweis stellen will, werden wegen Lichtführung und der angeblich mangelnden Idealisierung der Figuren kritisiert.

Ingres bleibt in Italien

Ingres entscheidet auch nach Auslaufen seines Stipendiums in Italien zu bleiben, wo er 1813 heiratet. Während der gesamten Zeit in Italien erhält Ingres zahlreiche Aufträge für Porträts. In vielen davon zeigt sich einerseits Ingres Neigung, anatomische Gegebenheiten der Bildkomposition unterzuordnen. So bildet im Porträt der Madame Senonnes zum Beispiel ein aus anatomischer Sicht zu langer und zu gerundeter rechter Arm kompositorisch einen harmonischen Bogen. Andererseits zeigt der Spiegel im Hintergrund den Hinterkopf der Dame und bindet den eigentlich vor der Bildebene liegenden Raum geschickt ins Bild mit ein. Auch die Große Odaliske –wohl eines der allerbekanntesten Bilder Ingres– zeigt eine harmonische aber recht unanatomische Stellung der Gliedmaße. Und eine opulente Ausführung der drapierten Stoffe (ähnlich wie beim Empereur auf dem Thron und der Großen Badenden). Ingres macht noch einige Versuche, beim Salon zu punkten, ohne jedoch das gewünschte Echo zu finden.

Der Erfolg in Frankreich stellt sich ein

Ein Erfolg beim Salon lässt auf sich warten: 1924 aber wird Ingres Bild Das Gelübde Ludwigs XIII beim Salon sehr positiv aufgenommen, so dass er sich zur Rückkehr nach Frankreich entschließt. Dort hat sich seit seinem Weggang vieles verändert. Napoleon I hat abgedankt, Europa wurde 1815 beim Wiener Kongress neu geordnet. Die Restauration ist in vollem Gange und Karl X ist nach dem Tod Ludwigs XVIII im Begriff den Thron zu besteigen.

Ingres Bild ist ganz im Stile Raffaels gehalten und macht starke Anleihen bei dessen Sixtinischer Madonna. Auch im Salon vertreten ist der Maler Eugène Delacroix – und zwar mit dem Massaker von Chios – einem Bild, das seine Hinwendung zur Romantik illustriert. Zwischen den beiden Malern (bzw. deren Anhängern) entspinnt sich ein mit Inbrunst geführter Disput zwischen dem Vertreter der Linie und der Zeichnung (Ingres) und dem der Farbe (Delacroix). Nach dem Salon zeichnet der König Ingres mit dem Kreuz der Ehrenlegion aus.

Bewunderer der Antike

Jean Auguste Dominique Ingres, Apotheosis of Homer, 1827
Apotheosis of Homer

Nun kann sich Ingres endlich dem Teil seiner Arbeit widmen, den er selbst für bedeutender hält. Ingres strebt nach höherem, nach dem reinen Ideal, orientiert sich an Raffael und antiker Formenstrenge und wählt seine Themen oft entsprechend: In der programmatisch wirkenden Apotheose Homers sitzt selbiger spärlich bekleidet nur in eine weiße Toga gehüllt erhöht vor einem griechischen Tempel mit der Inschrift Homer. Nike, die Siegesgöttin, hält einen Lorbeerkranz über sein Haupt. Zu seinen Füßen zwei buntgekleidete Frauen, die für Homers wichtigste Schriften stehen: Ilias und Odyssee. Diese Kernszene umringen Künstler und Geistesgrößen aus verschiedenen Epochen der europäischen Kultur. Pindar reicht dem thronenden Homer eine Leier. Zu weiteren bewunderten (und meistenteils im Profil dargestellten) Vorbildern der griechischen Antike wie Aristoteles, Äsop und Aischylos oder Platon, Perikles und Sophokles gesellen sich neben Dante auch Ingres italienische Helden der Hochrenaissance Raffael und Michelangelo. Sie alle umringen den göttergleichen Homer. Im Bild außerdem untergebracht hat der Maler, Shakespeare, Camões, Mozart und Gluck. Am unteren Bildrand schaut Molière den Betrachter an. Auffällig ist der aus dem Bild gerichtete Blick der eigenen Landsleute: Molière, Fenelon, Corneille, Poussin (nur Racine zeigt sich im Profil), die Ingres zeitlich näherstehen, und sich außerdem am unteren Ende der Vergöttlichungspyramide drängeln. Mit diesem Werk hat Ingres sein eigenes Bildungsideal unmissverständlich ins Bild gesetzt und postuliert die zeitlose Gültigkeit einer antiken Geisteshaltung.
Mit diesem Bild nimmt Ingres am Salon von 1827 teil.

Der ehemalige Schüler wird Lehrer

Inzwischen ist Ingres arriviert. 1829 wird er in die Académie berufen, beginnt 1830 dort zu lehren und wird schon bald zum Direktor des Instituts ernannt.

Im Salon von 1833 zeigte Ingres zwei Bilder: das bereits 1807 gemalte Porträt von Madame Duvaucey und das in mehrerlei Hinsicht bemerkenswerte Bildnis des Verlegers Louis-François Bertin, das den bekannten und zu dieser Zeit einflussreichen Verleger zeigt. Auch in diesem Porträt ordnet Ingres die anatomisch korrekte Darstellung der Wirkung unter.

Die etwas zu großen Hände vermitteln Tatkraft, die Stellung der Hände auf den Knien wirkt, als wäre der Porträtierte im Begriff sich zu erheben. Insgesamt betont der Bildaufbau Bertins Masse und Gewicht. Ingres beweist mit seinen Porträts sein eigentliches Talent, auch wenn er selbst die Historienmalerei immer als wichtiger erachtet und der Nachwelt sicher nicht als Porträtist in Erinnerung zu bleiben hofft.

Rückkehr nach Rom

Bereits im Jahr 1834 wartet beim Salon die nächste Enttäuschung auf Ingres. 1924 hatte der derzeitige Innenminister Ingres den Auftrag erteilt, für die Kathedrale von Autun ein monumentales Gemälde zu erschaffen: Das Martyrium des heiligen Symphorian. Das Bild stößt nun jedoch nicht auf durchgängig positive Resonanz. Diese Tatsache ist für Ingres offenbar so verletzend, dass er verkündet, nie mehr im Rahmen des Salon de Paris ausstellen zu wollen. Er bewirbt sich erfolgreich als Direktor der Académie de France in Rom, so dass er noch im selben Jahr nach Rom zurückkehrt und bis 1841 dort seine Tätigkeit ausüben wird.

Höhere Weihen

Nach dem Erfolg von Antiochus und Stratonice, das Ferdinand Philippe d’Orléans bereits 1834 bei Ingres in Auftrag gegeben hatte, das dieser jedoch erst 1840 beendet, entschließt sich Ingres zur Rückkehr nach Frankreich. Als Maler führt nun kein Weg mehr an ihm vorbei. Er erhält Aufträge von der königlichen Familie, arbeitet an seinem künstlerischen Vermächtnis Das goldene Zeitalter (Projekt das Ingres nach der Revolution von 1848 und dem Tod seiner Frau aufgibt und das so unvollendet bleiben wird) und nimmt weiter Aufträge für Porträts einiger weniger, aber hochstehender Persönlichkeiten an.

In seinem Spätwerk greift er außerdem ein Thema aus seiner frühen Zeit wieder auf: die Aktmalerei. Im Auftrag von Prinz Napoleon arbeitete er an dem Bild Das türkische Bad, das in zwei Versionen vorliegt (1859/1863). In diesem Bild treffen wir die große Badende von 1808 wieder, die nun ein Instrument spielt und von zahlreichen anderen Nackten umgeben ist. Es ergibt sich jedoch keine wirkliche Szene, sondern die Figuren bleiben eher zusammenhanglos im Bild gruppiert. Im Jahr 1963 beruft Napoleon III Ingres in den Senat.

Das Werk Ingres ist vielschichtig und widersprüchlich. Er, der immer als Historienmaler in Erinnerung bleiben wollte, war doch der „geborene Porträtist“ (Hans Naef). Er stand für die Rückbesinnung auf die Antike und galt als Traditionalist. Dennoch ist unverkennbar, dass sich in seinen Werken zum Teil bereits Entwicklungen der moderenen Kunst ankündigen, die spätere Künstler beeinflusst haben.

Jean-Auguste-Dominique Ingres verstarb am 14. Januar 1867 in Paris. Seine sterblichen Überreste wurden auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt.

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